Gisela Baudy liest aus ihren Gedichtbänden „Tonspuren – Lyrisches Tagebuch“ (Stimme fürs Leben 2016, als Buchausgabe vergriffen), „Worthaut“ (awsLiteratur 2019) und „Blaues Ufer“ (awsLiteratur 2019). Malerei, Christian Baudy

 

 

Warum

Warum dichten?
Ein Kilo Vögel
am Horizont
tut’s auch.

Begegnung

Ein Vogel
braucht seine Flügel
nicht nur zum Fliegen.

Im Flügelschlag
begegnen sich
Himmel und Erde.

Finden sich Boden
und Weg.

Boot

Schwankendes Boot.

Wenn wir uns fester hielten
schwankte es dann immer noch?

Dann schwankte die Welt
aber wir stünden fest.

 

Du

bringen wir
einander
vorkommen bei

sehen wir uns
in die augen
aber

beschämen wir
einander
nicht

im auge das du
im du der wind
der segel bläht

wir bewegen uns

Genug Hände

Genug Hände haben
um dich
zu wärmen.

Aber auch genug Hände
um anderen
Wärme zu geben.

Himmel und Erde

Vogel sein im Fluge
der Boden gewinnt
und Himmel gewährt

Tauchgang

In Meer und Muschel
rauschen Leben und Heimat
künden still vom Grund.

Muschelverloren
gleitest du träumend hinab
von Fischen umspielt.

Im Netz der Sonne
erwacht Thetis* zum Leben.
Brandungen aus Licht.

(Gedicht aus drei Haiku)
* In der altgriechischen Mythologie eine der wichtigsten Meeresnymphen.

Was trägt

Sehnsucht
lässt sich nicht
ausleben.

Sehnsucht
ist die Richtung
die uns trägt.

Stille
bringt sie
zum Klingen.

Worthaut

Gefüllt sein.
Nicht mehr auf Fülle warten.

Blumen öffnen die Kelche.
Einer bietet Wörter an:
Worthäute.

Worthaut und Krug.
Worthaut und Nektar.
Vorrat für den Winter.

Aufbruch

Nach vorne
schreiben.

Das Gestern
entwaffnen.

Die Scherben
neu zusammensetzen.

Den Ort Heimat
zimmern.

Die Kindheit
neu erinnern.

Erdwärme

Deine frierende Seele
in Erdschichten legen
die verlässlich wärmen.

Aus allem und jedem
Wärme und Wurzeln ziehen.

Der Sehnsucht Raum geben
nach grüneren Ufern.
Die blaue Weite in dir tragen.

Der Anfang für die Wende sein.
Leben.
Nicht überleben.

Kindertrost

Sieh den Himmel.
Seelen sind
wie Sterne.

Sie werden
gehalten durch
Kräfte im

leeren Raum
zerbrechlich
verletzlich.

Und sind doch
im Letzten
unverletzlich.

Seelen sind
immer zu Haus
und zeitlos schön.

Blaues Ufer

Wann folgen Worte
dem Lauf der Sonne?
Wann reichen Liebende
sich Schalen aus Licht?
Wann webt sich Seele
an Seele zum Gedicht?

Wenn das verlorene Kind
sich in dir wiegt.
Wenn das wunde Herz
mit sich versöhnt
zum blauen Ufer fließt.

Flügelleicht

Auf Wörtern gleiten
flügelleicht.

Die Wörter tragen.
Sie tragen
weit.

Schwerelos

Manche Worte
lächeln.

Sie nehmen dem Alltag
die Schwere

und malen
Sommersprossen
ins Gesicht.

Vogelschrift

Der Himmel wirft
seine Vögel aus
wie Dichter
ihre Wörter.

Jetzt verstehst du
die geheime Vogelschrift
das ewige Sprühen
den rastlosen Flug.

Jeder ausgeworfene Vogel
ein Stück weit
Botschaft.

Jedes Wort
ein Stück weit
Horizont.

Windspiel

Ein Blatt halten
wie eine Hand.

Wörter einfangen
und sie bewegen

als rührten sie
an ein Du

 

Warum

Warum dichten?
Ein Kilo Vögel
am Horizont
tut’s auch.

wenn

wenn stille
an sprache
rührt

entsteht
reibung
licht

beginnen worte
an den rändern
zu strahlen

 

Lichtfang

Im Licht sein
aufgefangen
vom Leben.

Atmen
im Kreißsaal
des Lichts.